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Die Wäscherin im Seidenkleid...

oder Sisi als Aschenputtel

 

Auch auf die Gefahr hin, daß man mir virtuelle Tomanten nachwirft, wollte ich schon immer mal sagen, was mir bei historischen Kostümen wichtig ist:

 

Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Dagegen ist auch nichts zu sagen und Mode ist eines der besten Ausdrucksmittel für den eigenen Geschmack. Allerdings setzt beim kostümern die Absicht der Kostümträgerin ihrer Individualität Grenzen.

Wer "einfach so" ein schönes Kleid tragen möchte, das zufällig einen Schnitt von 1860 hat, dem sei unbenommen, was er für Materialien, Dekoration etc. verwendet. Der heutige weibliche Traum vom großen Rock läßt sich dann auch problemlos mit dem viel geschmähten Reißverschluß und Polyesterstoffen verwirklichen.

Schwieriger wird es, wenn die Kostümträgerin eine Darstellung vermitteln möchte, und das geht schon los mit der Aussage "Ich trage ein Kleid von 1860". Oder eine frühe Tournüre. Oder eine Robe Anglaise. Wer den Stil einer Zeit darstellen will, sollte ihn nach Möglichkeit auch im gesamten treffen, also in Übereinstimmung von Kleid, Finanzlage und Verwendung. Ein Seidenkleid für eine Köchin ist ebenso unsinnig wie ein Ballkleid aus Nessel oder ein Promenadenkleid aus Polyestersatin ohne jegliche Dekoration, dafür aber mit einer 2 m langen Schleppe.

Wer heute Unsummen für eine D&G-Jeans ausgibt will mit dem Label demonstrieren, daß er nicht auf Kaufhausware angewiesen ist - und wird diese Hose auch sicherlich nicht zum tapezieren tragen. Genauso verhält es sich mit der Kleidung vergangener Epochen. Auch dort wurde anhand von Material, Ausputz, Schnitt und Gelegenheit demonstriert, wer man war. Damen mit sehr kleinem Budget waren auf ihr Sonntagskleid beschränkt, das aber sicherlich auch praktischen und vor allem Standeserwägungen unterlag. Der Bankiersgattin hingegen wird es egal gewesen sein, ob sie ihre Schleppe beim Promenadenkleid ruiniert oder nicht, sie läßt sich in der nächsten Saison sowieso ein neues machen. Und daß sie ein Seidenkleid trägt ist zumindest für die Sommermonate selbstverständlich. Für die Frau des kleinen Kohlenhändlers um die Ecke ist es aber keineswegs egal, die trägt ihr Kleid auf und reinigt es auch selber, sie wird sich also überlegen, ob sie Wolle oder Seide trägt. Zumal auch nur ein einziges Kleid der Bankiersgattin ihre modische Privatinsolvenz bedeutet hätte.

Entsprechend dem heutigen Zeitgeist wollen viele mit historischen Kostümen schnellstmöglichst und am besten zu einem Spottpreis möglichst viel hermachen. Das Problem ist nur, daß das damals wie heute nicht funktioniert, sowohl von der Ausstattung als auch von der Rolle in der Darstellung her. Ein schlichtes Kleid aus einem billigen Baumwollstoff mit einer ewig langen Schleppe stellt keinesfalls etwas dar, jedenfalls nicht im historischen Sinne. Die Trägerin einer langen Schleppe demonstriert, daß sie nicht arbeiten muß (weil sich z. B. mit Schleppe ganz einfach ziemlich blöd Wäsche aufhängen läßt). Wer aber nicht arbeiten muß hat von Haus aus Geld und würde niemals mit einem undekorierten Baumwollkleid auf der Promenade sein Licht unter den Scheffel gestellt haben. Es darf dann gerne etwas mehr sein...

Gute Stoffe für eine gute Darstellung kosten heute wie damals Geld. Der Adlige des 18. Jahrhunderts wird kaum die Karstadt-Gardine seiner Zeit für den festlichen Justaucorps gekauft haben, um ihn in unzähligen Stunden besticken zu lassen. Es liegt also auf der Hand, daß der heutige Darsteller eines Adligen mit eben dieser Gardine seinem Vorbild nicht gerecht werden kann.

Das soll jetzt nicht heißen, daß man für jedes Kostüm Unsummen aufwenden muß und nur in Seide gehüllte Menschen vollwertige Kostümer sind. Beileibe nicht. Da uns die Vielfalt an Seiden und Wollstoffen voriger Jahrhunderte gar nicht mehr zur Verfügung steht, ähnliche Stoffe nur schwer zu bekommen und wenn dann häufig auch noch unbezahlbar für den Durchschnittsverdiener sind, bleibt als Alternative eigentlich nur, eine angemessene Darstellungsform zu suchen für das, was man sich leisten kann und leisten will.

Man muß sich dafür auch nicht vorher drei Jahre mit der Materie befassen, viele grobe offensichtliche Fehler lassen sich durch Logik vermeiden. So, wie jedem eingängig ist, daß die Zigarette nicht zur burgundischen Hofdame paßt, liegt es auch auf der Hand, daß eine Sisi in Goldlamé oder die Marquise in der Polyestergardine mit den königlichen Lilien nicht wirklich ein stimmiges Gesamtbild abgeben.

Das Kleid sollte von Farbe und Dekoration zur Trägerin passen, das Material und der Schnitt mit der dargestellten Finanzsituation übereinstimmen. Weniger ist wie immer oft mehr, wenn man sich nicht sicher ist.

Auch der Verarbeitungsaufwand trägt ungeheuer zur Stimmigkeit bei. Unsere Bewunderung für die aufwändigen Kleider der Oberschicht beruht ja nicht nur auf den edlen Materialien, sondern vielmehr auf dem Gesamteindruck des Kleides. Und der ist nicht herzustellen, in dem der Schneider schnellst möglichst fertig ist. Mit Schrägband eingefaßte Rocksäume sind zwar rekordverdächtig schnell gemacht, sehen aber eben auch so aus. Auch Kleiderkunstwerke brauchen wie jedes Kunstwerk bei der Herstellung Zeit und Muße - sonst kommen sie einem verunglückten Hauskleid ziemlich schnell ziemlich nahe.

Eine Gleichsetzung von manchen Kostümen mit Darstellungsabsicht mit den aufwendigen Originalroben empfinde ich manchmal schon richtiggehend als Beleidigung für die Handwerkskünstler vergangener Zeiten. Nicht nur, daß die dargestellte Schicht mit diesen Kleidern noch nicht einmal (Zitat ;-) ) hätte tot überm Zaun hängen wollen, auch die vielen Stunden der Spitzenklöpplerinnen, Stickerinnen, Posamentenmacherinnen etc. werden quasi über einen Kamm geschoren mit 4 m Schrägband, Polyesterborte und 1,20 m Vliseline. Das haben sie schlichtweg nicht verdient. Und deswegen erhöhen plakative Mittel bei der Kostümherstellung die Trägerin nicht, auch wenn sie es vielleicht meint. Im Gegenteil...

Die Schneider der vorigen Generationen waren ja nicht weniger faul als wir, viele auf den ersten Blick umständliche und langwierige Verarbeitungstechniken haben durchaus Sinn und Zweck, auch wenn der sich nicht gleich offensichtlich erschließt. Die Kleidung wurde wesentlich länger getragen, beim Waschen mehr strapaziert und unter Umständen noch verschiedenen Figuren angepaßt. Ein Anforderung, die für ein T-Shirt von H&M nicht gilt und deswegen dieses in Verarbeitung und Material von einem Promenadenkleid von 1876 unterscheiden sollte. Ebenso wirkt sich die Verarbeitung auf den Sitz und das Tragegefühl des Kleides aus. Ein leichter, einlagiger Stoff weht einem gerne wenig damenhaft um die Beine, bei einem pauschal mit "irgendwas" gefütterten Kostüm gleicht das ganztägige Tragen unter Umständen einer sportlichen Höchstleistung.

Jeder fängt klein an und natürlich dann nicht gerade mit dem teuersten Stoff und der aufwändigsten Garnitur. Auch müssen die ersten Werke nicht gleich museumsverdächtig werden. Wer aber nicht dazulernt, muß damit leben, daß andere das ganz individuelle 1884er-Kleid aus 2005 mit dem Druck, der aussieht wie von anno dazumal und der Borte, die farblich grad gut dazu paßt, bestenfalls als uninteressant empfinden. Und der Sisi in Polyestersatin schlichtweg die Aufwartung verweigern...

Die Schwierigkeiten, die richtige Kleidung zu wählen, quält aber nicht nur den Kostümer von heute. Auch im Alltagsleben gibt es ja zum Teil erstaunliche Dinge und das verrmutlich schon seit Beginn der Mode. Um 1890 haben sich zwei Damen (oder Herren?) dazu ihre Gedanken gemacht und mir gefällt dieser Text so gut, daß ich ihn Euch nicht vorenthalten möchte. Inhaltlich hat er jedenfalls nichts von seiner Aktualität verloren. Guckst Du hier.

 

 

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