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Die Unterwäsche bestand gleich der der Mädchen aus köper- oder leinenbindiger Baumwolle, Leinen oder Flanell und setzte sich zusammen aus Unterbeinkleid und Hemd, in jungen Jahren noch dem Leibchen unter dem Hend. Das Unterbeinkleid für kleine Jungen bis ca. 10 Jahre wurde an einer Untertaille entweder festgeknöpft oder festgenäht, es wurde also ständig ein Unterhemd getragen, das gleichzeitig die Unterhose festhielt. Bei älteren Jungen wurde die Untertaille durch die Weste über dem Hemd ersetzt, die Anzahl der Lagen blieb also gleich. Bei Bedarf konnten Unterjacken getragen werden, welche sich von einer wirklichen Jackenform mit Vorderverschluß bis zum Ende des Jahrhunderts in der Optik einem klassischen Schiesser-Unterhemd mit Arm annäherten. Das Unterbeinkleid älterer Jungen wurde auf verschiedene Weise im Rücken in der Weite geregelt, die Schnittvorlagen dafür waren vielfältig. Der Bund war mit Zwischenlagen aus festem Leinen für einen guten Sitz versteift. Die auf dem Bund angebrachten Riegel dienten zum Durchführen der Hosenträger, was als logischen Schluß nur zuläßt, daß das Hemd nicht über dem Unterbeinkleid getragen werden konnte. Der Abschluß der Beinkleider erfolgte entweder mit Riegeln oder Bändern, mit denen das Hosenbein eng an das Bein geschlossen wurde oder mit einem gewirkten Bündchen, ähnlich dem Ärmelende heutiger Sweatshirts. Für die warme Jahreszeit waren die Unterbeinkleider
knielang, ansonsten waden- oder knöchellang. Auf die in Westernfilmen
gerne gezeigten "Long Johns", also eine Kombination aus langärmeligem
Hemd und langer Unterhose aus Wirkgewebe habe ich in der
zeitgenössischen, hiesigen Literatur keinen Hinweis gefunden. |
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Über dem Leibchen wurde das Hemd getragen, ganz links eine Abbildung von 1873 für 6-8jährige und in der Mitte ein Hemd für 10-12jährige. Die Ausarbeitung des Hemdes für größere Jungen muß nicht zwangsläufig immer sehr aufwendig mit Stickerei erfolgt sein, sicherlich gab es auch weniger gute Hemden für den Alltag. Chemiseteinsätze waren in vielfacher Ausführung fertig zu bekommen. Die Länge des Hemdes reichte bis zum Knie, zur besseren Handhabung waren die Seiten aber recht hoch geschlitzt. Mir ist die Aussage, auch aus einem sogenannten Fachbuch, bekannt, daß Herren im 19. Jahrhundert generell keine Unterwäsche getragen und die Länge des Hemdes quasi die Unterhose ersetzt hätte. Dies halte ich für ein Gerücht, vor allem in den besser situierten Familien. In Arbeiterfamilien mag es vorgekommen sein, wahrscheinlicher ist in meinen Augen, daß das Unterbeinkleid seltener gewaschen wurde, da es nur eines gab, es aber dennoch zur Schonung des Beinkleides stets getragen wurde. |
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Das war nicht jedem möglich, dem entsprechend gab es vielerlei Methoden, das sichtbare Hemd immer weiß zu halten. Kragen und Manschetten wurden angeknöpft, Vorhemden mit aufwendigem Chemiseteinsatz auf dem schlichten Hemd getragen.
Diese Prozedur ging an den kleinen Herren nicht vorbei. Spätestens ab
dem 10. Lebensjahr wurden Jungen wie ihre Väter gekleidet. Die Devise
dürfte dabei wie bei den Mädchen gewesen sein: Je formeller der Anlaß, desto korrekter die Kleidung. Das blaue Lieblingsflanellhemd
bliebt dem Kinderzimmer vorbehalten und mußte bei Besuchen, Promenaden
und ähnlichen Anlässen dem steifen Kragen und dem weißen Hemd weichen. |
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Was ist der Junge, was das Mädchen? Die relative Ähnlichkeit der
Geschlechter bei Kleinst- und Kleinkindern bis 3 Jahre fand in einer
ähnlichen Bekleidung ihren Ausdruck. Auf dem linken Bild ist links der Junge, rechts das Mädchen. Es könnte aber auch genauso gut andersherum gewesen sein. Zwar wurde die Kleidung der Jungen üblicherweise nicht so stark verziert wie bei Mädchen, aber eine eindeutige Festlegung auf das Geschlecht erfolgte in dieser Zeit nicht. Die Bekleidung ging mit der Entwicklung der Kinder einher, eine eindeutige Trennung erfolgte offenbar erst, wenn diese "für voll" genommen werden können. Das eigene Bewußtsein über eine Geschlechtszugehörigkeit bildet sich zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr, so lange ist den Kindern egal, was sie sind und dem entsprechend wurden sie neutral gekleidet, nämlich annähernd gleich. Allerdings wurde oft genug über die natürliche Entwicklung hinaus
entschieden, denn die Literatur kennt zahlreiche Beispiele, in denen
sich Jungen dafür schämten, die Röcke ihrer Schwester auftragen zu
müssen und/oder sich die erste Hose herbeisehnten, damit sie
endlich ein richtiger Junge wurden. |
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Kleidung für 3-4jährige ca. 1875 1882 1886 ca. 1890 |
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Das Ziel des Rockes war eindeutig ein dekoratives
Element bzw. eine Verlängerung des lockeren Oberteiles, um das Kind
warmzuhalten und keinesfalls der Versuch, die Jungen "weibisch"
anzuziehen. Die Kleidung ist mit Mehrweite angelegt, die entsprechende
Literatur weißt ausdrücklich darauf hin, daß Kinderkleidung weit und
locker sitzen soll, damit sich die Kinder gut bewegen können.
Gleichzeitig sollte das Kind immer warm genug anzogen sein, es bleibt
also nur die Variante einer etwas längeren Bluse (siehe Bild ganz
rechts), einer klassischen, längeren Jacke oder einer kurzen Jacke mit
einer Verlängerung, sprich einem Rockteil, der mit Falten eindeutig
hübscher ist als ohne. |
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Kleidung für 4-8jährige 1873 1878 1886 |
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Je älter der Junge, desto mehr Hose trägt er. Eine pauschale Definition festzulegen, wann welches Kind was getragen hat, ist vermutlich unmöglich, da es auch im 19. Jahrhundert schon unterschiedliche Haltungen der Eltern gegenüber ihren Kindern gegeben haben wird. Generell wurde Kindern und ihren Wünschen zwar bei weitem nicht so viel Gewicht beigemessen wie heute, aber ich halte es für natürlich und wahrscheinlich, daß nicht alle Eltern ihre Kinder den eigenen Modewünschen unterworfen haben, komme, was da wolle. Abhängig vom Temperament des Kindes wird sich manch nähende Hausfrau unter Umständen überlegt haben, ob sie einen täglichen Kampf um das Faltenröckchen riskiert oder einfach ein wenig früher als geplant mit der Hose anfängt.
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Gerade Jungen etwas besser gestellter
Familien waren den modischen Wünschen ihrer Mütter aber oft hilflos
ausgeliefert.
Der Drang nach Repräsentation trieb zum Teil wundersame Blüten in Form von Volkstrachten oder dem überaus geschätzten - und vermutlich von dem größten Teil der Jungen überaus gehaßten - Samtanzug mit Spitzenkragen. Der kleine Lord Fauntleroy aus dem gleichnamigen Roman von Frances Hodgson Burnett wird oft als Vorbild für diesen Modetrend genannt, tatsächlich tauchen aber schon vor dem Erscheinungsjahr 1886 ausreichend Bilder von Samtanzügen aller Sorten mit weißen Spitzenkrägen auf. Die Beschreibung des kleinen Lords wird vielmehr der modischen Realität von Mrs. Burnett entsprochen haben. |
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Samtanzug 1881 | Schottenanzug 1878 | Phantasieanzug 1886 | |
Umhang und Kappe nach französischem Militärvorbild Anzug aus Tuch oder Samt, Gamaschen aus Leder, Umhang mit Seidenfutter |
Zu repräsentativen Zwecken trugen Jungen wie Mädchen Kleidung, die nicht
wirklich alltagstauglich war. Seidenblusen für 5jährige,
Ziegenleder-gamaschen und Samtbaretts mit Federn dürften nach der
Repräsentierzeit sehr schnell wieder in der Schublade verschwunden sein. Größere Jungen wurden in Modezeitungen fast immer sportlich und aktiv dargestellt. Die Alltagskleidung wird dem entsprechend aus strapazierfähigen Stoffen hergestellt worden sein. |
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1886
1873
1878
1886 5 Jahre 8 - 10 Jahre 7 - 9 Jahre 8 Jahre |
Die Hosenbeinlänge richtete sich nach dem Alter des Kindes. Bis zum Alter von 10 Jahren wurden Jungenbeinkleider etwas über knie- oder wadenlang abgebildet. Auch auf Fotos haben die Hosen kleinerer Jungen oft "Hochwasser". Ab dem 10. Lebensjahr wird die Kleidung zunehmend korrekter, besser im Sitz und verliert die kindliche Bequemlichkeitszugabe. |
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ca. 1873 / 6 Jahre ca. 1873 / 10 Jahre ca. 1886 / 11 Jahre ca. 1900 / 14 Jahre | |
Die Ober- und Unterbekleidung von Jungen wurde ungefähr bis zum 12.
Lebensjahr von der Mutter genäht. Danach wurde die Oberbekleidung,
insbesondere Jacken und Mäntel, vom Herrenschneider angefertigt, da ein
guter Sitz neben einem akkuraten Zuschnitt auch eine komplexere
Verarbeitung erforderte, als den meisten Hausschneiderinnen vermutlich
möglich war. Die Unterbekleidung blieb der Mutter jedoch erhalten. Auch Sport- und Badeankleidung wurde nach wie vor daheim genäht, rechts auf dem Bild ein Turnanzug für einen 15jährigen.
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