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Über das Haarefärben


"Der Bazar" stellt 1872 bereits fest, daß sich die Enkel seiner Zeit dereinst wundern werden, wie fortgeschritten die Technik und die Naturwissenschaften wären, wie rückständig hingegen das öffentliche Gesundheitswesen.

Besonders hervorzuheben wäre das von den Behörden nicht unterbundene Haarfärben mit bleihaltigen Färbemitteln. Wurden die Haare früher fast ausschließlich mit Höllenstein (Silbersalpeter) gefärbt, so enthielten vermutlich fast alle Färbemittel des späteren 19. Jahrhunderts Blei.

Die Ursachen vieler Krankheiten wie "Schwäche" oder "weiblicher Gebrechlichkeit" mögen in einer dauerhaften, leichten Bleivergiftung durch Kosmetika zu suchen gewesen sein. Viele Ärzte waren mit der Diagnose anhand der Symptome überfordert, zumal im Gegensatz zu Berufen, die bekanntermaßen mit bleihaltigen Substanzen hantierten, der Ursache von Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit nicht zwangsläufig zuerst bei der Kosmetik auf den Grund gegangen wurde.

Ein Großteil der Haarfärbemittel wurde als Tinktur auf den Markt gebracht, nur ein kleiner Teil als fetthaltige - und damit noch schädlichere - Salbe oder Creme. Die Tinkturen sollten auf die Haarwurzel einwirken und das Haar von dort an mit neuen Farbstoffen versorgen. Allerdings wußte man auch 1872 schon, daß das nicht geht... Verkauft wurden die Mittel auch nicht als Färbemitteln, sondern als Haarwasser zur Kräftigung, Haarvermehrer oder ähnliches.

Das Schwefelblei färbt die Haare über einen längeren Anwendungszeitraum hinweg erst sacht in einem zarten Braun bis hin zu einem tiefen Schwarz. Der Farbton variiert also mit der Dauer der Anwendung. Die Gefahr einer chronischen Bleivergiftung steigt demzufolge, je dunkler der gewünschte Farbton ist.

Bei Absetzen des Haarfärbemittels bleiben vollständig weiße Haare zurück, der Nutzer des Haarfärbemittels ist somit quasi gezwungen, das Mittel weiter zu benutzen. Die Erklärung findet Der Bazar darin, daß sich das schwarze Schwefelblei an der Luft zu weißem, schwefelsaurem Blei wandelt.

Die ausführliche Beschreibung der genauen chemischen Bezeichnungen und Vorgänge überrascht den heutigen Leser etwas, wohl schon deswegen, weil er nur in den seltensten Fällen weiß, von welchen Substanzen dort genau die Rede ist. Die Damenwelt vor über 100 Jahren wird es in meinen Augen auch nicht viel besser gewußt haben, es fehlten nur einheitlichen Markenbezeichnungen und vor allem überall erhältliche, gleiche Produkte.

Anstatt der Freundin zu dem zu raten "was sie sich wert ist", wurde die Tinktur von Apotheker Müller empfohlen oder das ganz besonders wirksame Rezept der Tante von der Nachbarin der Cousine, dessen Bestandteile alle frei verkäuflich waren. "Silbersalpeter" klingt für heutige Ohren weitaus chemisch-gefährlicher, als die gesamte lateinische Auflistung der Inhaltsstoffe auf heutigen Produkten. Schon deswegen, weil wir sie gar nicht erst lesen, denn wir wissen ja eh nicht, was dort steht...

Neben der "Darreichungsform" in Tinkturen und Pomaden als Bleizucker wurde eine Radikalkur aus Bleibrei, Netzkalk und Wasser vorgenommen. Dieser Brei verblieb über Nacht auf dem Kopf, färbte im besten Falle die Haare vollständig, im schlechtesten waren am Ende des Färbevorganges keine Haare mehr da.

In einigen französischen Haarfärbemitteln waren von vornherein Enthaarungsmittel wie Schwefelnatrium oder Schwefelkalzium enthalten. Durch den Arzt Alibert wurde berichtet, daß eine junge Frau nach der Anwendung eines solchen Mittels neben einem heftigen  Migräneanfall und einer schmerzhaften Ohrentzündung sämtliche Haare in Gelatine verwandelt vorfand...

Neben den bleihaltigen Färbemitteln, die ein wenig Dauerhaftigkeit versprachen, waren auch gefärbte Pomaden gängig, die allerdings ständig neu aufgetragen werden mußten und wohl auch nicht wirklich praktisch in bezug auf die Wäschepflege waren. In einem Modeberater um 1889 ist zu finden, daß es kaum etwas unangenehmeres gäbe, als wenn Frauen nicht zu ihren grauen Haaren stünden und dann in der feuchtwarmen Luft von Ballsälen und Theatern die Haarfarbe als schwarze Rinnsale in den Nacken liefen.

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