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Warum all die Mühe für so eine leidliche Optik?
Das moderne Schneiderauge muß blinzeln beim Anblick so mancher Oberteile damaliger Zeit. Nicht nur, daß die Nahtführung bei weitem nicht immer so sauber war, wie man von den Töchter der höheren Mädchenschulen glauben möchte, auch die grundsätzliche Art und Weise der Verarbeitung ist gewöhnungsbedürftig.
Wo heute ein paßgenaues Futter das Innenleben verdeckt zeigt uns die Kleidung des 19. Jahrhunderts alles in schonungsloser Wahrheit. Die Mühe und Fertigkeit der Schneiderin offenbart sich nicht nur in der guten Paßform und der gelungenen äußeren Ansicht, sondern auch in der Feinheit der Umsäumungen und unsichtbaren Stiche des Innenlebens. Die Begabung und/oder auch die Nervenstärke dafür war wohl damals wie heute gleichermaßen unterschiedlich ausgeprägt...
Kleidung hatte in der Gründerzeit einen anderen Wert als heute. Was noch gut war wurde wiederverwertet oder aufgetragen, an neue Trägerinnen angepaßt oder mit neuen Partien aufgewertet. Es gibt unzählige Beispiele erhaltener Kleider, auch teurer Gesellschaftskleider, denen man die ursprüngliche Nahtführung noch deutlich ansieht.
Eine Anpassung mit getrenntem Futter ist mühselig und verlangt, daß quasi das ganze Kleidungsstück zerlegt wird. Bei der einlagigen Verarbeitung werden lediglich die Belege korrigiert, das Auslassen oder Verengen der Nähten ist jedoch schnell und einfach zu erledigen. Weiterhin müssen die Stäbe entfernbar sein, entweder um sie leicht durch neue ersetzen zu können oder sie für die Wäsche herauszunehmen. Die Stäbe unter einem separaten Futter zu platzieren ist somit wenig sinnvoll, selbst wenn man es mit der Historie nicht so genau nimmt und lieber eine moderne Optik möchte.
Die Kleider sind zusammen mit der gesamten Unterbekleidung recht warm, wer nicht nur sitzt sondern eventuell einen ganzen Tag im Kostüm auf den Beinen ist, wird schnell feststellen, daß für ein modernes Geruchsempfinden eine Reinigung der Taille nicht lange auf sich warten lassen wird. Die Stäbe sollten also erreichbar bleiben...
Auch verstürzte Kragen sind unter dem Gesichtspunkt des Verschleißes nicht so praktisch wie getrennt aufgesetzte Kragenfutter. Nicht jedes Kleid war waschbar seinerzeit, die chemische Reinigung mühsam, vielleicht bekam man auch schon damals nicht immer das gleiche Kleid zurück, das man abgeliefert hatte, kurz: nicht waschen ist auch eine Lösung, die echten "Verschleißteile" wie Ärmelblätter oder speckige Kragen lassen sich hingegen schnell und einfach wechseln.
Und zu allem Überfluß ist die einlagige Verarbeitung auch für Nähanfänger wesentlich einfacher zu handhaben als die "tailor-made"-Bekleidung, die getrennte Verarbeitung von Oberstoff und Futter, die ihren Ursprung in der Herrenbekleidung hat. Die einlagige Verarbeitung verzeiht kleine Fehler und Korrekturen sind noch lange möglich. Sie ist der Mühe eindeutig wert J.